Theater von Ferdinand von Schirach:

Zwölftklassspiel „Terror“

Angeklagter Kampfpilot von Publikum freigesprochen

Was, wenn man je abwägen müsste, ob man wenige unschuldige Menschen töten muss, um dafür sehr viele unschuldige Menschen zu retten? Und wenn man diese unmenschliche Entscheidung zugunsten der Vielen getroffen hätte, wie würde man vor Gericht damit bestehen? Die Schülerinnen und Schüler unserer 12. Klasse befassten sich im vergangenen halben Jahr sehr eingehend mit diesem Fragekomplex. Am Wochenende führten sie ihr Zwölftklassspiel auf, das beispielhaft an einem fiktiven Fall zeigt, was mit diesem komplizierten moralischen Dilemma einhergeht und wie der deutsche Rechtsstaat damit umgeht.

„Terror“, das wohl bekannteste Stück von Ferdinand von Schirach, kommt äußerlich sehr ruhig und ohne viel Bewegung daher, wühlt den Zuschauer innerlich jedoch gehörig auf, das haben unsere 12er ganz genau auf den Punkt getroffen. Ihr vergleichsweise karges Bühnenbild, das sie mit Werklehrer Peter Vogel entwickelt haben, passt mit hartweißen Fluchtlinien und ansonsten verhaltenen Grau- und Schwarztönen ganz treffend in die Thematik. Ebenso wie die eher schmucklosen, fast futuristisch abstrakt wirkenden Kostüme, die in Zusammenarbeit mit Handarbeitslehrerin Andrea Petzold entstanden sind. Sehr ernst und etwas nüchtern, fast wie durch einen Filter, wirkt insgesamt die Atmosphäre im Stück. So wird auch der Zuschauer, der am Ende zur Urteilsfindung herangezogen wird, aufgefordert, sich nicht mit Gefühlen für oder gegen den Angeklagten aufzuhalten, sondern auf die Faktenlage zu blicken, wie es auch das Gericht tun muss.

Das herausfordernde, sehr textlastige Stück hatten sich die 25 Schülerinnen und Schüler Anfang Dezember ausgesucht. Bei der Umsetzung stand ihnen Regisseur Irfan Kars, der unter anderem auch am Naturtheater inszeniert, mit Rat und Tat zur Seite. Der Fall um den es geht, schildert das Gerichtsverfahren gegen den angeklagten Kampfpiloten Lars Koch, der entgegen der Befehle seiner Vorgesetzten – und verfassungswidrig – eine entführte Passagiermaschine mit 164 Insassen abgeschossen hat, um rund 70.000 Menschen in der vom Terror auserkorenen Allianz Arena vor dem Tod zu retten. Jaron Immer stellte den Angeklagten sehr glaubwürdig dar, saß meist in sich zusammengesunken hinter der Bauzaun-Zelle, die die Untersuchungshaft versinnbildlichte, sichtlich schwer tragend an der Last seiner Tat, dann wiederum im Zeugenstand ganz aufrecht und sich glasklar verteidigend. Die Anwälte, Staatsanwälte und Richter an den Bänken agierten und reagierten eher nüchtern und sachlich, das trug ebenfalls ganz passend zur stellenweise bedrückenden Atmosphäre bei.

In zwei von drei Vorstellungen sprach das hin- und hergerissene Publikum, das gegen Ende als Schöffen zur Urteilsfindung herangezogen wurde, den Kampfpiloten frei. Nach aktueller Rechtslage würden den Täter viele Jahre Gefängnis erwarten. War das Urteil der Zuschauer, die den Retter im Sinn hatten, ein menschlicheres, ein besseres Urteil? In der Samstagabendvorstellung hingegen wurde der Angeklagte vom Publikum nicht freigesprochen. Das alternative Ende war vorbereitet und die jungen Darsteller waren dankbar, dass sie beide Varianten aufführen konnten. Wohin sie selbst tendiert hätten beantworteten sie unterschiedlich, aber eines ist ihnen allen klar: Einen Menschen zu verurteilen, der selbstlos zum Schutze vieler Menschen handelt, ist keine Entscheidung, die man nach dem Lehrbuch einfach so treffen kann.

Text: Julia Bantlin
Bilder: Jakobus Stützel

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